Falcos Rückschläge

Im Jahre 1987 zog sich Falco von der Öffentlichkeit weitgehend zurück. Zuviel verlangten die letzten Jahre und vor allem Monate von ihm ab. Er brauchte Zeit, um das Erlebte einigermaßen verarbeiten zu können, und mußte wieder seine innere Balance finden. Da Hans Hölzel der Ansicht war, seinem Kind auch ein Stück Natur bieten zu müssen, begab er sich auf die Suche nach einem Haus im Grünen. In Gars am Kamp in Niederösterreich, eine gute Autostunde von Wien entfernt, fand Hans Hölzel eine schöne Jugendstilvilla mit rund 4.000 m² Garten, der direkt an den Kamp angrenzt. Obwohl sie Adaptierungsbedürftig war, gefiel sie ihm auf Anhieb. Er kaufte sie am 11. September 1987 und ließ sie nach seinen Vorstellungen mit viel Liebe in mühevoller Kleinarbeit renovieren. Ende 1987 meldete sich Falco mit der Single „Body next to Body“, die der gebürtige Südtiroler Giorgio Moroder produzierte, bei seinen Fans zurück.

Falco nahm diesen Song gemeinsam mit der Dänin Brigitte Nielsen auf. Das Duett war Berechnung, wie Falco später gestand: „Mit ihr wollte ich nie in die Hitparade, mit ihr wollte ich nur ins Bett!“ Der Erfolg der Single blieb aus, Falco sprach von einer „miserablen Platte“. „Aber die Zeit mit ihr war es wert, die 14 Tage St. Tropez haben sich gewaschen. Es war ein Deal.“ Falco war auf der Suche nach einem neuen Produzenten, da er sich von den Gebrüdern Bolland „wegen unverschämter Forderungen und schwacher Demobänder“ getrennt hatte. Das Produzentenduo Gunther Mende und Candy De Rouge schienen Falco wieder auf anraten von Horst Bork für sein neues Album genau richtig zu sein. Im März 1988 war die LP – sie sollte ursprünglich „Aya“ heißen; es sind die letzten drei Buchstaben des Singletitels „Himalaya“ – fertig. Falco, der einen unüberwindlichen Drang zum Perfektionismus hatte als auch die Teldec waren jedoch mit dem Ergebnis nicht zufrieden, man verwarf einen Großteil der bereits fix und fertig produzierten Songs und kehrte reumütig zu Rob und Ferdi Bolland zurück, mit denen er das Album fertigstellte. Es heißt nun „Wiener Blut“ und enthält sechs von den Bollands und vier von Mende/De Rouge produzierte Nummern.

Die Titelnummer „Wiener Blut“ war schon zur Zeit von „Rock me Amadeus“ aufgenommen worden, kam jedoch nicht auf das Album „Falco 3“. Sie hieß damals noch „Medizin“ und hatte einen ganz anderen Text. Falco griff diese alte Nummer wieder auf, verpaßte ihr einen neuen Text wie auch Titel und spielte sie für sein neues Album in neuem Gewand ein. Das Album „Wiener Blut“ kam im Spätsommer des Jahres 1988 heraus – die Verkaufszahlen blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Die geplante Europatournee mußte mangels Publikumsinteresse abgesagt werden. Falco äußerte sich später immer abfällig über dieses Album, er hatte zu diesem sicherlich den wenigsten Bezug von all seinen Werken.

Am 17. Juni 1988 heiratete Hans Hölzel Isabella Vitkovic heimlich in Los Angeles. Nicht einmal die wichtigste Frau in seinem Leben, seine Mutter, wußte davon. Falco: „Ich habe sie nur wegen des Kindes geheiratet.“ Im November 1988 war Falco völlig am Boden, physisch wie psychisch: Seine LP ein Internationaler Flop, seine Tournee abgesagt, seine Alkoholprobleme unbewältigbar und seine Ehe am Scheitern – er bricht aus und tritt eine „Flucht“ rund um den Erdball an. Viereinhalb Monate lang wußte niemand, wo er sich befand. Er wollte sein Leben neu positionieren, wieder in die richtigen Bahnen lenken. Nach seiner Rückkehr setzte Hans Hölzel einen Schlußpunkt, packte 3,8 Millionen Schilling in einen schwarzen Koffer, fuhr nach Graz und stellte seiner Ehefrau die alles entscheidende Frage: „Geld oder Ehe?“ – Die Antwort war klar, und nach 309 traurigen Ehetagen erfolgte 1989 die einvernehmliche Scheidung.

Nach dieser Wende beschloss Falco im Sommer 1989 wieder „Kontakt“ zu Robert Ponger herzustellen und gestaltete mit Hilfe von alten Bandmitglieder, einigen deutschen und österreichischen Studio- und Gastmusikern im ablaufenden Jahr 1989 einen Comebackversuch und nahm in Koproduktion mit Robert Ponger, dem Produzenten seiner ersten beiden Platten, das „futuristisch-erdige“ Album „Data de Groove“ auf. Falco entwickelte für die Texte der Songs eine dem Computerzeitalter entsprechende Kunstspr ache: „Ich mein: Ich-Mich-Du-Dich-Ich-Mein. Du dein so allein, so allein zu sein. Und so weiter.“ Aber der internationale erhoffte Charterfolg im Jahre 1990, den Falco und insbesondere Hans Hölzel so dringend gebraucht hätte, blieb abermals trotz guter Gesamtverkaufszahlen aus. „Es war ein sehr introvertiertes aber gut produziertes Album und ich habe mich ein bißchen in zu anspruchsvolle Wortspiele verstiegen“, sagte Falco rückblickend. Nach Ablauf seines Vertrages 1991 zwangen Gig und Teldec Falco noch zu einem Greatest Hits/ Remix Album welches Großteils in Wien produziert wurde und einige wenige gelungene Neuversionen enthielt zu denen Falco sogar 2 Titel neu einsingen musste. Des weiteren wurde er von den Bollands für 2 Songs ihres Konzeptalbums „ Darwin the Evolution“ eingeladen wo beide Seiten wieder zarte Bande schlossen.

Nach dem Wechsel von Teldec zu EMI Electrola hob der Falke im Sommer 1992 zum „Nachtflug“ ab. Das Album „Nachtflug“ ließ Falco dann wieder vom Erfolgsduo Rob und Ferdi Bolland produzieren. Falco: „Das Album stellt die Summe der letzten zehn Jahre meines Lebens dar.“ Der Song „Titanic“, ein kalkulierter Hit nach Inspiration von Vivaldi – nahm sofort nach Veröffentlichung den ersten Platz der österreichischen Hitparade ein und befaßt sich mit einer Weltgesellschaft, die sich darauf verläßt, daß ihr im Fallen die Flügel wachsen, „Nachtflug“, der absolute Lieblingssong Falcos, ist ein Psychogramm von Hans Hölzel: „Das bin ich. Da geht es um das Verhältnis zwischen Mann und Frau, wie ich es momentan sehe.“
„Nachtflug“ wurde zwar vom Publikum sehr gut angenommen – Falco bekam Platin dafür verliehen -, jedoch gelang es Hans Hölzel auch mit diesem Album nicht, an seine großen frühen Erfolge anzuschließen.

Im Frühjahr 1993 ging Falco nach sechs Jahren erstmals wieder auf Tournee. Da er sich nach den langen Jahren seiner Live-Absenz nicht im klaren darüber war, wie groß seine Fangemeinde ist, entschied er sich dafür, in Konzertsälen kleinerer und mittlerer Größe zu spielen. Auf dem Tourplan standen überwiegend Städte in Österreich, aber auch Konzerte in Deutschland, der Schweiz und sogar in Rußland standen auf dem Programm. Die Tournee wurde ein großer Erfolg für Falco, der ihn beflügelte. Wer sich Filmaufnahmen seiner Konzerte ansieht, dem wird klar, daß Hans Hölzel nur auf der Bühne, wo er die Liebe seiner Fans spürte, richtig glücklich war. An diesem Platz lebte er auf.

Höhepunkt war sein letzter „großer“ Live Auftritt am 27. Juni 1993 im Rahmen des Wiener Donauinselfestes, wo über 100.000 Menschen das vielleicht beste Konzert des Falken, der an diesem Abend – angetrieben durch seine begeisterten Fans – zur Höchstform auflief, miterlebt hatten. Es wird vielen in unauslöschlicher Erinnerung bleiben. Im Herbst des Jahres 1993 mußte Hans Hölzel wohl den schwersten Schicksalsschlag seines Lebens erfahren. Weil er schon lange Zweifel an seiner Vaterschaft von Katharina Bianca hegte, entschied er sich zu einem Vaterschaftstest, der ihm Klarheit bringen sollte. Und er brachte sie: Hans Hölzel war nicht der Vater von Katharina Bianca. Nach außen hin zeigte er nicht, wie sehr ihn diese Demütigung verletzte, „doch es war das Ärgste, was ihm in seinem ganzen Leben passiert ist. Das hat er bis zu seiner letzten Stunde nicht verkraftet“, sagt sein Freund Billy Filanowski. Maria Hölzel: „Wenn dem Hans im Leben jemand weh getan hat, dann war es Isabella!“ Diese schmerzliche Erfahrung beeinflußte seine Beziehung zu all seinen späteren Frauen nachhaltig.

Der durch private und berufliche Rückschläge sehr verletzte sowie verunsicherte Mensch Hans Hölzel zog sich immer mehr in sein Refugium in Gars am Kamp, das sein kleines Paradies war, zurück, wo er seine Krisen besser zu bewältigen glaubte. Seine immer wieder aufkommende Schwermut bekämpfte er mit Psychopharmaka, die er mit Alkohol hinunterspülte. Um sich abzulenken, arbeitete er geradezu verbissen an einem neuen Album, mit dem er unbedingt sein internationales Comeback schaffen wollte. Als er jedoch 4 neue Songs – darunter „Verdammt wir leben noch“ und „Dame Europa“ – in einem relativ unfertigen Zustand seiner Plattenfirma präsentierte, war die Reaktion darauf: „Na ja, ganz nett, aber was hältst du von Techno?“ Für Falco, der sich viel von diesen Nummern versprach, war dies ein harter Schlag, noch dazu, wo er wenig von Techno hielt.

Doch Falco bewies, daß er sich auch im musikalischen Zeitgefühl der neunziger Jahre behaupten kann, und brachte 1995 unter dem Pseudonym T>>MA – ein Wortspiel zu „Thema“ – bei einem anderen Label den Song „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“ als Coverversion eines Schlagers aus den dreißiger Jahren heraus. Falco spielt im Text dieses Liedes, das durch schnelle Techno-Beats gekennzeichnet ist, permanent mit den Doppelbedeutungen der Worte „Kohle“ und „Koks“. Falco: „Ich möchte ununterbrochen sehen, wie weit ich gehen kann und ob ich damit durchkomme. Ganz einfach. Diese Nummer ist nichts anderes als nonkonformistische Provokation.“ Der Song bescherte Falco gute Chartplazierungen in Österreich und Deutschland und brachte ihn auf die Playlist von VIVA.

Am 22. April 1995 stellte sich Falco, der eine sehr große Liebe zur Poesie hatte, in den Dienst der guten Sache und trat neben H. C. Artmann, Wolfgang Bauer und Konstantin Wecker bei der Benefizveranstaltung „Nacht der Poesie“ zur Rettung der Wiener Schule für Dichtung in den Sophiensälen auf. Außerdem leitete Falco im Rahmen der April-Akademie 1995 abseits der Öffentlichkeit ein Werkstattgespräch mit dem Titel „Schreibt Falco Texte? Wenn ja, wie?“ – Ein stiller Höhepunkt in Falcos Karriere.

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